Kultur!
Statt eines Vorworts oder einer Einführung... Ein Artikel aus der Festschrift zum 50-jährigen Schuljubiläum (2012):
Seit der Gründung der Hans-Ehrenberg-Schule gibt es ein ausgeprägtes musisch-künstlerisches Profil an der Schule. Drei Vertreter der heutigen Lehrergeneration präsentieren sich und ihre Sichtweise in einer ungewöhnlichen Form, einem Selbstgespräch: Herr Budde (Kunst), Herr Kegel (Musik) und Herr Wilkening (Theater).
Wilkening: Warum sind Sie Theater-Lehrer geworden?
Wilkening: An dieser Stelle muss ich Ihnen erst einmal widersprechen. Ich bin kein „Theater-Lehrer“, sondern ausgebildeter Deutsch- und Religionslehrer. Vor fünfzehn Jahren habe ich dann eine zweijährige Weiterbildung zum Lehrer für „Darstellendes Spiel“ absolviert, nach deren Abschluss ich in Niedersachsen das entsprechende Fach in der Oberstufe unterrichten durfte. Seit wenigen Jahren gibt es aber tatsächlich die ersten grundständig ausgebildeten Theater-Lehrerinnen und –Lehrer, die das Fach auch an der Universität studiert haben.
Wilkening: Dann korrigiere ich meine Frage: Warum haben Sie diese Weiterbildung gemacht?
Wilkening: Ganz einfach: Weil Darstellendes Spiel – oder Theater – als Schulfach einfach so wunderbar viel verlangt. Hier brauche ich Schülerinnen und Schüler, die bereit sind, ihren sicheren Platz – hinter dem Schultisch – zu verlassen und ihre Schuhe auszuziehen, um barfuß oder in Socken auf die Suche zu gehen. Die bereit sind, sich auf einen Prozess einzulassen, dessen Ende lange Zeit offen bleibt. Die bereit sind, sich selbst in anderen Rollen neu zu erfahren – und das alles begleitet, getragen, aber auch hinterfragt von einer Gruppe.
Budde: Apropos „hinterfragt“... Herr Budde, was antworten Sie auf die Frage: „Ist das Kunst?“
Budde: Diese Frage wird mir gestellt, wenn wir wieder einmal etwas vor uns haben, das ganz anders aussieht, als es unseren Erwartungen an Kunst entspricht. Und ich kann dann nur feststellen, dass ich darauf keine Antwort parat habe. Immer noch nicht.
Vielleicht, weil es mich eigentlich nicht interessiert, ob es Kunst ist oder nicht.
Ich suche vielmehr danach, ob ich Zugänge zu dem Etwas, das vielleicht oder auch nicht nach Kunst aussieht, finden kann. Dabei habe ich es etwas leichter als andere, da ich unterschiedliche Denk- und Herangehensweisen von Künstlern kenne.
Budde: Was erwarten Sie von der Kunst, Herr Budde?
Budde: Manchmal, dass mich Farben auf einem Bild berühren. Danach suche ich auch in meiner eigenen Malerei – und finde sie manchmal. Dann tauche ich ein in die Arbeit und empfinde so etwas Ähnliches wie Glück.
Manchmal, dass ich ins Nachdenken komme über mich selbst, über andere Lebensentwürfe, über Phänomene in unserer oder anderen Gesellschaften. Antworten gibt mir die Kunst aber nicht. Muss sie auch nicht.
Wenn ich selbst nachdenke über mich oder über Beziehungen zwischen Menschen, entstehen Zeichnungen oder Skulpturen oder Installationen oder auch nur Konzepte für Skulpturen oder Installationen... weil ich nur noch viel zu selten dazu komme, die Ideen auch umzusetzen. Manchmal ist da auch erst eine Zeichnung und ich grüble hinterher, was mir die Zeichnung eigentlich sagen will...
Manchmal auch nur, dass ich die Dinge einfach mal anders sehe als bisher gewohnt.
Kegel: Herr Kegel, wie sehen Sie die Rolle des Faches Musik im Dreiklang der musisch-künstlerischen Fächer?
Kegel: Dreiklang? Eine schöne Metapher. In Ihrer Frage steckt nämlich schon die Antwort. Einzelne, sukzessiv gespielte Töne klingen schön, genau wie die musisch-künstlerischen Fächer für sich allein stehen und einen wichtigen Stellenwert im Fächerkanon haben. Aber drei Töne simultan als Akkord gespielt ergeben erst Musik in Vollendung. Daher sehe ich die drei Fächer gern in enger Verzahnung und sich gegenseitig befruchtend (wie poetisch). Nein, im ernst – im Differenzierungsbereich der Jahrgänge 8 und 9 sowie in unseren Musicalproduktionen verschmelzen die Fächer ineinander und schaffen außergewöhnliche Produkte.
Kegel: Haben Sie eine Vision für den musisch-künstlerischen Bereich?
Kegel (knetet seine Unterlippe): Hm, eine sehr gute Frage; könnte von mir sein. Aber ja, das habe ich.
Kegel: Wie sieht diese Vision aus?
Kegel: Um meine Vision darzustellen, bräuchte ich eine eigene Festschrift (lacht). Nach meinem Empfinden geht unsere Schule in die richtige Richtung; wir konnten das Konzept der Bläserklasse etablieren und führen regelmäßig Musicals auf, bei denen mehr als 150 Schülerinnen und Schüler teilnehmen. Aber meine Vision geht noch einen Schritt weiter. Sir Simon Rattle hat einmal im Interview gesagt, dass er als Schüler nie verstehen konnte, warum zum Beispiel im Kunstunterricht gemalt und gestaltet oder im Sportunterricht geturnt und gespielt, aber im Musikunterricht hauptsächlich über Musik gesprochen wird. In einigen Grundschulen in NRW wird zurzeit das Projekt „Jedem Kind ein Instrument“ evaluiert. Jedem Grundschulkind des Ruhrgebiets soll die Möglichkeit offen stehen, ein Musikinstrument zu erlernen, das es sich selbst ausgesucht hat. Im Mittelpunkt steht das gemeinsame Musizieren der Kinder – von der ersten bis zur vierten Klasse. Ein Musikunterricht in der Sekundarstufe 1 und 2, in dem wie selbstverständlich Musik mit Kopf, Herz und vor allem mit der Hand erlebt werden kann, weil alle Kinder schon in der Grundschule
gelernt haben, sich mit ihrem Instrument oder ihrer Stimme auszudrücken, wäre eine andere Dimension von Musikunterricht…
Wilkening: Kopf, Herz und Hand sind ja beim Theaterspielen unmittelbar beteiligt, was vielleicht das starke Interesse der Schülerinnen und Schüler am Fach Literatur in der Oberstufe erklärt. Trotzdem wirken Sie nicht ganz glücklich, Herr Wilkening. Woran liegt das?
Wilkening: Das liegt daran, dass die Schülerinnen und Schüler nur an wenigen Stellen ihrer Bildungsbiographie und eher zufällig mit Theater in Berührung kommen können. Vielleicht in einer AG oder in der Übermittagsbetreuung der Grundschule, dann in einem Lernstudio des 6. Jahrgangs oder abschließend in einem übervollen Literaturkurs der Oberstufe. Das reicht nicht aus, um das Potenzial des Faches Theater für die Persönlichkeitsbildung der Heranwachsenden auszuschöpfen.
Wilkening: Sie spielen damit auf Hartmut von Hentig an, der das Theaterspiel als eines der „machtvollsten Bildungsmittel, die wir haben“, bezeichnet hat. Schlussfolgern Sie daraus, dass Theater auch ordentliches Lehrfach in allen Schulformen werden müsste?
Wilkening (lächelt): Wie könnte ich ihre Frage anders als mit „Ja“ beantworten? Die Qualitätsanalyse hat ja in ihrer Rückmeldung an verschiedenen Stellen auf die besondere Bedeutung der Theaterangebote und Musicalaufführungen an der HES hingewiesen und diese sehr positiv beurteilt in Hinblick auf die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben oder die Entwicklung personaler Kompetenzen. Es ist eine Binsenweisheit, dass die musisch-künstlerischen Fächer die sogenannten Schlüsselkompetenzen fördern, z. B. Kreativität oder Kommunikationsfähigkeit. Aber auch, wenn ich von Hentig zustimme, so bedeutet das nicht, dass ich es für sinnvoll halte, einzelne Fächer gegeneinander auszuspielen, etwa Theater statt Musik oder Kunst statt Physik zu fordern. Es kann nur darum gehen, den ganzen Menschen – also: den Schüler in seiner oder die Schülerin in ihrer ganzen Persönlichkeit – anzusprechen und zu fördern. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Schule in 50 Jahren nicht mehr von einer lehrerorientierten Fachlichkeit dominiert und bestimmt wird, sondern von schülerorientierten und auf Kompetenzförderung ausgerichteten Angeboten, bei denen die Lehrerinnen und Lehrer eine ganz andere Rolle spielen als in der heutigen Schule.
Budde: Wenn Sie Ihre Rolle im Kunst- oder Werkunterricht an der HES des Jahres 2012 betrachten, wie würden Sie die beschreiben?
Budde: Ich sehe mich als Impulsgeber, der kreative Prozesse bei meinen Schülerinnen und Schülern anstoßen möchte. Und ich sehe mich als Begleiter meiner Schülerinnen und Schüler auf dem Weg zur Verwirklichung ihrer eigenen Ideen. Damit die Umsetzung gelingt, vermittle ich aufgrund meiner Erfahrungen den Umgang mit künstlerischen Materialien und Medien. Schwierig ist für mich allerdings auch immer wieder, aufgrund der schulischen Gegebenheiten, den passenden Spielraum zwischen Freiheit und Bindung von Aufgabenstellungen auszuloten.
Kegel: Gab es so etwas wie einen schönsten Moment in ihrem Leben als Musiklehrer?
Kegel: Nein, es gibt jeden Tag, nun ja, fast jeden Tag schönste Momente. Diese Momente können ganz unterschiedlich gestaltet sein. Die Premiere eines Musicals ist genauso schön wie die Präsentation einer Schülergruppe, die gerade mit Inbrunst ein selbst erfundenes Leitmotiv oder eine selbst komponierte Melodie vorspielt. Neulich haben mir zum Beispiel völlig unabhängig von einander zwei Schülerinnen und Schüler mit Stolz selbst komponierte Orchesterstücke überreicht. Oder eine Schülerin der Bläserklasse teilte mir ganz begeistert mit, dass sie seit dem Wochenende den dritten Ton auf ihrer Trompete spielen kann. Sie sehen, schönste Momente gibt es immer wieder und sie haben keine Rangfolge.
Wilkening: Und im Bereich des Theaters?
Wilkening: Auch wenn es sich nach einem Drücken vor der Antwort anhört: Es ist diese Reihe von schönen Momenten, die eines gemeinsam hat – dass die Probenzeit vorbei ist und die Aufführung läuft. Ich sitze dann in der letzten Reihe und schaue mir an, wie das, was lange Zeit nur Prozess war, sich plötzlich verwandelt in ein Produkt, eine Aufführung – die einmalig, unverwechselbar und vergänglich ist. Und ich sehe auch die Verwandlung der Schülerinnen und Schüler - nicht nur in ihre Rollen, sondern auch ihr Wachsen, ihren Stolz, ihr gestärktes Selbst-Bewusstsein.
Budde: Gibt es Vergleichbares auch im Bereich der Kunst?
Budde: Dieses Gemeinschaftserlebnis fehlt uns in der Kunst ein wenig – lauter Individualisten halt, die ihre eigenen Werke schaffen. Bei der gemeinsamen Arbeit am Bühnenbild ist das etwas anderes. Aber da sind wir schon wieder beim Theater. Vielleicht sind es weniger „besondere Momente“, die unsere Arbeit in der Kunst ausmachen, als vielmehr die doch dauerhafte Freude über die – teilweise mühevoll entstandenen – Werke, die dann innerhalb oder außerhalb der Schule oder zu Hause mit Stolz präsentiert werden.
Kegel/Budde/Wilkening: Herzlichen Dank für das Selbstgespräch.
Kegel/Budde/Wilkening: Bitteschön!